Interpretation zu Missgeschick im PC-Unterricht,

Diskussion des Falls „Missgeschick im PC-Unterricht“


Autor*in
Isabell Schattling |
Auswertungsmethode/n


Diskussion:

Das Datenmaterial beschreibt den Übergang der PC-Stunde zur Sachunterrichtsstunde. Es handelt sich um die vierte Stunde eines Montages und die Klassenlehrerin geht mit der Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die eben diese Computerstunde mit ihr absolvierten, in den gemeinsamen Klassenraum. Dort befindet sich die andere Hälfte der Klasse, sodass Frau F. gleich mit dem Sachunterricht beginnen könnte. Um die Schülerinnen und Schüler zu ehren, die in der vorherigen Stunde Briefe an ihre Eltern geschrieben haben, liest die Lehrerin die fertiggestellten Briefe vor. (Z.2)

Dabei erinnert sie die Klasse daran, dass noch einige Briefumschläge fehlen und dass die eigenständig geschriebenen Briefe nur dann abgeschickt werden können, wenn der Briefumschlag vorhanden ist. Da die Kinder die Erklärung schon von den Tagen zuvor kennen, reicht es, sie daran zu erinnern. (Z.3)

Als Annabelles Brief an der Reihe war, begann der eigentliche Prozess, den ich unter dem ersten theoretischen Exkurs als Bloßstellen beschrieben habe. Annabelle druckte im PC-Raum ihren Brief aus Versehen statt einmal, fünfmal aus und verschwendete somit, im Bilde der Lehrerin, die Druckerpatronen.

Frau F. liest den Brief einmal vor, blättert zum nächsten Blatt, liest den Brief noch einmal vor und wiederholt diesen Vorgang insgesamt fünfmal. (Z. 4-6 )

Dieser Akt an sich, der wahrscheinlich von der Lehrerin nicht zwangsläufig als Bestrafung Annabelles gedacht war, sorgte für eine Belustigung in der Klasse. (Z. 6 Einige Kinder lachen). Annabelle selbst schaut er auf den Boden und äußerte sich zu diesem Vorfall nicht. Auch wenn diese Handlung sehr kurzläufig war und auf dem ersten Blick eventuell nicht so viel Aufsehen erregt, ist es doch für Annabelle selbst ein Moment der Bloßstellung, den sie vor der ganzen Klasse erlebt. Dieses Schamgefühl, welches sie durch ihre eingeschüchterte Haltung zum Ausdruck bringt, entstand aufgrund der Handlung von anderen. „Ich schäme mich über mich vor Anderen“ (Paul Sartre 1933, S.490 in Hafeneger 2013, S.49) trifft in diesem Fall zu.

Neben der allgemeinen Wiederholung vertieft die Lehrerin das Ereignis und somit die Scham Annabelles.

„Was ist passiert?“ (Z. 7), fragte Frau F. die Klasse.

Damit eröffnet sie den Gesprächsraum der ganzen Klasse und gibt ihnen Raum, sich daran zu beteiligen. Für Annabelle vergrößert sich somit der äußere Rahmen der „Anderen“. Da dieser aus ihr nahestehenden Personen besteht, intensiviert sich das innere Gefühl der Scham.

Die Lehrerin ergänzt: „Annabelle hat fünfmal auf „Drucken“ geklickt. Das geht jetzt an alle Kinder, damit euch das nicht passiert. (Z.8)

Hiermit verändert sich die Grundsituation. Am Anfang ereignete sich das indirekte Gespräch zwischen Annabelle und der Lehrerin. Auch wenn die Mitschüler physisch anwesend waren, galt ihnen kein eigener Gesprächsanlass. Aufgrund der direkten Ansprache verallgemeinert sie die Tätigkeit Annabelles auf die der Klassenebene. Sie erwähnt weiterhin, dass die Schülerinnen und Schüler eigentlich nur einmal auf ‚drucken‘ drücken sollen. (Z.9) Und analysiert die vermeintliche Unachtsamkeit Annabelles:

Hm, einmal passiert nichts und zweimal auch nicht, dann drücke ich halt noch einmal. (Z. 10)

Mit dieser Aussage unterstellt sie Annabelle somit, diese Aktion unüberlegt ausgeführt zu haben und die sozialen Normen des Achtgebens missachtet zu haben. Als Folge dessen zerreißt sie die vier anderen Briefe vor der Klasse. Dieser Angriff auf ihre eigene Intimität ist die erweiterte Bloßstellungsstufe. Auch der Versuch ihrer Klassenkameradin Emma, die darauf hinweist, „Dass es jedem passieren kann?“ animiert Frau F. nicht dazu einzulenken. (Z. 13) Stattdessen bezieht sie jetzt die nächst höhere Instanz mit ein, die die Schule als Ganzes betrifft und ihren finanziellen Haushalt.

„Ja, trotzdem, sind pro Blatt 50cent in den Müll gewandert. Wie viel müsste Annabelle dann zahlen, wenn sie vier zu viel gedruckt hat?“ (Z.13-14)

Der Höhepunkt der gesamten Bloßstellung endet damit, dass Annabelles Fehlverhalten als Anlass einer Mathematikaufgabe genommen wird. Auch wenn damit das Thema für die Lehrerin beendet ist und sie zu den weiteren Briefen übergeht, steht Annabelle mit ihren Gefühlen und der Klimax artigen Steigerung der Scham alleine da und muss sich, mit den anderen Kindern, schnell wieder in das Unterrichtsgeschehen einfinden.