Interpretation zu Warum machst du nicht mit?,

Diskussion des Falls „Warum machst du nicht mit?“


Autor*in
Student*in Anonym |
Auswertungsmethode/n


Diskussion:

Das zweite Protokoll stammt aus dem Mathematikunterricht. Die Lehrerin möchte mit den Kindern zusammen eine Aufgabe besprechen, wobei der Schüler 1 ihren Fragen und Aufforderungen nicht nachkommt.

Die Situation beginnt mit einem typischen „Rundgang“ der Lehrerin durch die Bankreihen (vgl. Z.1). Dabei ist zu vermuten, dass sie entweder die Hausaufgaben kontrolliert oder die Aufgaben, die in diesem Moment von den Kindern gelöst werden. Mit der anschließenden Äußerung ( Z.2: „Oh oh. Ich glaube wir machen das lieber zusammen.“) verkündet sie ihre Unzufriedenheit mit der Art und Weise der Aufgabenlösungen. Sie nimmt ein Stück Kreide in die Hand, was signalisiert, dass sie wahrscheinlich etwas an die Tafel schreiben möchte. Dafür soll ein Kind die Aufgabe vorlesen. Dies drückt sie durch eine Aufforderung aus (Z.4: „Lies die Aufgabe.“), die sie entweder neutral oder mit einer bestimmenden Art ausgesprochen haben könnte. Falls sie durch das unselbstständige Arbeiten der Klasse innerlich unzufrieden und damit gereizt wäre, könnte man das auch als Unterton in ihrer Aufforderung feststellen. Wen sie jedoch angesprochen hat, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Erst durch die nächste Zeile wissen wir, dass Schüler 1 gemeint wurde. Er antwortet mit einer Rechenaufgabe, die im Kontext einen möglichen Zusammenhang darstellt. Jedoch wollte die Lehrkraft die Aufgabenstellung hören (vgl. Z.6), was in ihrer vorangegangenen Aufforderung unklar war. Da der Begriff „Aufgabe“ verschiedene Bedeutungen hat, ist es nachvollziehbar, dass der Schüler 1 nicht die gewollte Antwort für die Lehrperson gegeben hat. Wenn sie das berücksichtigt, dürfte sie dem Kind beispielsweise nicht unterstellen, nicht aufgepasst zu haben. Nachdem der Schüler nun die eigentlich gewollte Aufgabenstellung vorgelesen hat (vgl. Z.7), kommt die Lehrerin wieder zu Wort. Die Frage „Und was ist da dran schwer?“ (Z.8) scheint auf den ersten Blick interessiert zu klingen. Die fragende Person könnte sie neutral stellen, um eine klare Antwort zu bekommen. Wenn wir uns in die Situation der Lehrerin versetzen, könnten wir uns vorstellen, dass sie gar keine Antwort der SchülerInnen verlangt. Dies könnte als rhetorische Frage gestellt sein, wodurch manche Kinder eventuell verwirrt sind. Somit wäre die Lehrkraft davon überzeugt, dass die Rechenaufgabe nicht schwer ist und der Lösungsweg bekannt sein sollte. Den SchülerInnen wird so gezeigt, dass sie etwas „falsch“ gemacht haben (zum Beispiel beim vorangegangenen Erklären der Aufgabe nicht aufgepasst haben). Daher weist die Lehrerin jegliche Schuld von sich und die Situation wirkt angespannt.

Mit der Zeile 9 wird die Vermutung der rhetorischen Frage bestätigt, da die Lehrkraft keine SchülerInnenantworten zulässt und weiter erzählt. Sie gibt die nächste Aufforderung, das Ergebnis einer Rechenaufgabe zuzuhalten (vgl. Z.9). Danach spricht sie wieder Schüler 1 an, der die Aufgabe lösen soll. Mit dem Anschluss „ja oder nein?“ (vgl. Z.9/10) könnte sie signalisieren, dass sie unter Zeitdruck steht. Sie erwartet demnach nur ein Wort vom Schüler. Jedoch ist Schüler 1 weder ihrer Aufforderung nachgekommen, noch gibt er ihr eine Antwort (Z.11: „Schüler 1 hat seine Hände auf den Oberschenkeln und guckt die Lehrerin an.“). An dieser Stelle ist der Grund seiner Handlungen nicht einfach herauszufinden. Vielleicht hat der Schüler die Aufforderung das Ergebnis zuzuhalten nicht mitbekommen, weil er sich selbst abgelenkt hat oder von einem/einer MitschülerIn abgelenkt wurde. Wenn der Zeitdruck der Lehrerin auf den Schüler 1 projiziert wurde, könnte er sich durch diese Druckbedingung auch nicht konzentriert haben. Mit der Frage „Warum machst du nicht mit?“ (Z.12) konfrontiert sie ihn mit seinem unangemessenen Verhalten. Bezogen auf den Gesamtkontext könnten wir uns vorstellen, dass diese Äußerung auch eine rhetorische Frage ist und die Lehrkraft gar keinen Grund wissen möchte. Womöglich hat sie die Frage auch noch etwas lauter oder gereizt ausgesprochen, sodass der Schüler 1 eingeschüchtert sein könnte. Er versucht dennoch eine Antwort zu geben, die für die Lehrerin jedoch falsch ist. Da der Schüler in ihren Augen schon mehrmals die falsche Antwort gegeben oder gar nicht reagiert hat, könnte sich ihre Unzufriedenheit gesteigert haben. Dieses Gefühl drückt sie anschließend durch Aufzählungen aus: Z.14/15: „Nein du sollst das Ergebnis zu halten. Unterschrift vergessen, Hausaufgaben nicht gemacht und zuhören tust du auch nicht. Es fängt wieder gut an Schüler 1. Passe auf!“. Hier wird klar, dass sie sich schon mehrmals über Schüler 1 geärgert hat und diese Situation das Verhältnis der beiden Agierenden nur noch verschlechtert hat. Es ist damit zu rechnen, dass die Lehrerin innerhalb kurzer Zeit mehrmals vom Schüler 1 konfrontiert  wurde, da es in der ersten Unterrichtsstunde stattfand. So ballen sich die „Kleinigkeiten“, die zu diesem Zeitpunkt aus der Lehrkraft herausbrechen. Der Schüler hat dabei keine Chance, sich zu rechtfertigen. Außerdem macht ihre bestimmende Art es dem Kind nicht leicht, aus der Situation herauszukommen. Somit ist für sie nach dem Monolog der Konflikt beendet und sie nimmt eine andere Schülerin dran.

Wie im theoretischen Teil beschrieben, liegt die Schwierigkeit einerseits im Verhalten bzw. Nicht-Verhalten des Schülers, womit die Lehrkraft ein Problem hat. Dabei hat sie durch rhetorische Fragen das Kind womöglich verunsichert. Ebenfalls stellt sie ihn als schwieriger Schüler vor der Klasse dar. Wenn sie jedoch die Gründe für sein Verhalten im Hinterkopf behalten hätte, dann hätte sie vielleicht anders reagiert (Zum Beispiel ihre Aufforderung anders formuliert und für ihn wiederholt). Doch in solchen Situationen ist es nicht leicht, sein eigenes Verhalten und die Wirkung auf die SchülerInnen zu reflektieren. Doch wenn uns bewusst ist, dass wir selbst ein Kind zum schwierigen Schüler bzw. zur schwierigen Schülerin machen, dann können wir vielleicht eher die Situation verändern.

In den Unterrichtsprotokollen wurden Situationen beschrieben, in denen die Lehrkraft mit (für sie) schwierigen SchülerInnen umgehen musste. Im anschließenden Teil erfolgen nun Situationsanalysen aus der eigenen Unterrichtstätigkeit.