Interpretation zu Milchreis auf dem Tisch,

Analyse zum Fall „Milchreis auf dem Tisch“ (99A_0036)


Autor*in
Marie Siebert |
Auswertungsmethode/n



Thema:
Kindliche Bedürfnisse und Autonomie im Kontext der Essensausgabe frühpädagogischer Einrichtungen

Methode:
Objektive Hermeneutik

Entstehungskontext:
AuPP


Feinanalyse

Das mir zugeteilte Protokoll, welches ich im Folgenden mithilfe der objektiven Hermeneutik analysieren werde, trägt den Titel „Milchreis auf dem Tisch“ (99A_0036) und wurde in einer Kindertagesstätte beziehungsweise in einem Essensraum zur Mittagszeit verfasst. Ich werde mich auf Grund der Länge des Protokolls auf einen konkreten Abschnitt beziehen und zwar auf die Zeilen 12 bis 23 und mit einer kurzen Inhaltszusammenfassung beginnen, bevor ich gezielt in die Analyse einsteige. Der Protokollausschnitt umfasst die Ausgabe des Mittagessens in einem Kindergarten. Die Erzieherinnen Anke und Karla sowie ein Praktikant wollen mit der Entengruppe, welche aus circa 20 Kindern im Vorschulalter besteht zu Mittag essen. Die Kinder sind aufgefordert, sich selbstständig eine Tasse, einen Teller sowie Besteck zu holen, um sich im Anschluss wieder auf ihren Platz zu setzen, sodass die Erzieherinnen mit der Essensausgabe beginnen können. Dabei kommt es zum Gedrängel unter den Kindern. Nun komme ich zu der spezifischen Analyse des Protokolls. Dieses beginnt mit einer Aussage der Erzieherin Anke. Der erste Abschnitt davon lautet wie folgt:

(Zeile 12) Anke: „So liebe Kinder, ihr dürft jetzt alle, wenn ich fertig gesprochen habe, aufstehen […]“

Dabei könnte sich das „So liebe Kinder“ auch in anderen Kontexten abspielen, wie zum Beispiel in einem Theater, denn der Ausdruck hat einen sehr einstudierten und ritualisierten Charakter. Vorstellbar wäre diese kurze Phrase zudem in einem YouTube-Video, in welchem die Zuschauer*innen mit dieser Formel begrüßt werden. Auch in diesem Fall würde es sich um einen starken Inszenierungs- beziehungsweise Auftaktcharakter handeln, da der Ausdruck vermutlich zu Beginn jedes neuen Videos verwendet wird. Möglich wäre die Formulierung ebenfalls zur Weihnachtszeit, wenn zum Beispiel der Weihnachtsmann oder auch der Nikolaus zu den Kindern spricht und seine kurze Rede mit „So liebe Kinder“ beginnt. Auch hier wird der starke Inszenierungscharakter deutlich. Besonders interessant ist der Ausdruck „liebe Kinder“, denn hierbei existieren verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Entweder werden nur die „lieben“ Kinder angesprochen oder die Aussage hat einen universellen Charakter und die Erzieherin spricht alle anwesenden Kinder an, welche demzufolge als lieb charakterisiert werden. Dementsprechend lässt sich ein impliziter Appellcharakter feststellen und zwar, dass die Kinder lieb sein sollen. Zudem könnte die Aussage gleichermaßen darauf hinweisen, dass die angesprochenen Kinder anders sind, als andere Kinder, nämlich lieb und sie somit voneinander abgegrenzt werden. Das „So“ steht wiederum für eine typisch deutsche Auftaktinszenierung, welche die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die sprechende Person lenkt. Im Allgemeinen ist die gesamte Aussage ebenfalls in verschieden anderen Kontexten möglich. Dazu zählt zum einen eine Ausflugssituation, in welcher der/die Leiter*in der Gruppe zu den Kindern spricht und mit diesem Ausdruck startet. Zum anderen könnte sich die Situation im Kommunionsunterricht abgespielt haben. Auch hier wird der Eindruck einer ritualisierten Vorgehensweise geweckt, welche zu bestimmten Zeiten immer wieder durchgeführt wird. Des Weiteren ist die Aussage im Kontext der Schule vorstellbar, wenn beispielsweise die Lehrperson die Aufmerksamkeit der Schüler*innen erhalten möchte beziehungsweise, wenn er/sie sicherstellen möchte, dass die Kinder erst nach seinen/ihren Ausführungen beginnen aufzustehen. Eine letzte denkbare Situation, in welcher die Aussage geäußert werden könnte, ist in einer Oper oder in einem Theaterworkshop, indem der/die Leiter*in oder ein*e Schauspieler*in eine Gruppe von Kindern (das Publikum) zum Mitmachen auffordert. Allen bereits aufgeführten Situationen ist dabei gleich, dass sie einen Trainingscharakter beinhalten, denn es geht um das richtige Verhalten in Bezug auf das Aufstehen. Es soll dementsprechend das „richtige“ Aufstehen zum geeigneten Zeitpunkt eingeübt werden. Dabei wird deutlich, dass eine gewisse Asymmetrie innerhalb der Kommunikation herrscht, denn es existiert eine leitende Person, welche das Sagen hat beziehungsweise das Oberhaupt darstellt sowie die Aufforderung äußert und auf der anderen Seite die Personen, die dieser Aussage Folge leisten sollen. Die genaue Form der Autorität ist jedoch unklar. In Bezug auf die Lesarten ergeben sich ebenfalls verschiedene Varianten. Somit könnte die gesamte Aussage „So liebe Kinder, ihr dürft jetzt alle, wenn ich fertig gesprochen habe, aufstehen […]“ unter anderem einen Appellcharakter aufweisen. Dafür spricht insbesondere die „wenn-dann-Formulierung“, denn nur wenn die Kinder eine bestimmte Bedingung erfüllen, in dem Protokoll das zu Ende reden lassen der Erzieherin, dürfen sie aufstehen. Dem gegenüber steht das Wort „dürft“, denn dabei handelt es sich um eine eher weiche Formulierung, die jedoch eigentlich einen Muss- beziehungsweise Soll-Auftrag vermittelt. Der Ausdruck suggeriert somit einen Entscheidungscharakter auf Seiten der Kinder, jedoch haben diese eigentlich keine Wahl, denn sie werden gezielt dazu aufgefordert, solange sitzen zu bleiben, bis die Erzieherin ausgesprochen hat und können demnach nicht eigenständig darüber entscheiden. Zudem entwickelt sich der Eindruck, dass der Ausdruck „liebe Kinder“ von der Erzieherin als Ergebnis der Erfüllung der „wenn-dann-Bedingung“ angesehen wird. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie real diese Situation sein kann, wenn sie so sehr inszeniert und routiniert wirkt. Auf Grund der verschiedenen Kontexte, in welche die Aussage ebenfalls getätigt werden könnte, ergeben sich somit auch unterschiedliche Anschlussoptionen. Denkbar ist zum einen, dass die leitende Person weiterspricht oder der Satz gilt als beendet und die Kinder dürfen aufstehen. Zum anderen ist vorstellbar, dass die Person weiterspricht und sich einige Kinder nicht an die Bedingung halten und trotzdem ihren Platz verlassen. Womöglich steht auch nur ein Teil der Kinder auf und der andere Teil bleibt sitzen oder eine andere Person hat eine Frage und es kommt somit zur Unterbrechung des Sprechakts der/des Leiterin/Leiters. In Bezug auf den zweiten Abschnitt der ersten Aussage:

(Zeile 12-13) „[…] und euch langsam hier vorne anstellen, um euer Essen abzuholen.“

kann die Anschlussoption, dass die leitende Person weiterspricht bestätigt werden. Die formulierte Regel wird dementsprechend ausgeweitet beziehungsweise fortgesetzt. Dabei initiiert der zweite Aussagenteil einen Begründungscharakter, denn der Zweck des Aufstehens wird mit der Essenseinholung durch die Kinder begründet. Des Weiteren wird die Formulierung „dürft“ präziser, denn der Zeitpunkt und der Grund des Aufstehens wird benannt und veranschaulicht. Jedoch bleibt weiterhin unklar, ob das Essen holen eine zwingende Bedingung ist oder auf einer freiwilligen Basis auf Seiten der Kinder beruht. Stattdessen existieren Hinweise, welche auf einen starken Organisationscharakter deuten, denn die Aussage wird durch eine gewisse Regelhaftigkeit ausgezeichnet, welche auf eine Institution verweist, die stark strukturiert ist oder eine genaue Strukturierung aufgrund einer großen Gruppe benötigt, um diese zu organisieren. Besonders interessant ist die Aussage „euer Essen“. Dabei handelt es sich um ein Possessivum, welches verdeutlicht, dass das Essen den Kindern gehört. Dieser Eigentumsanspruch lässt sich ebenfalls rechtlich belegen, denn entweder haben die Kinder das Essen mitgebracht, welches im Kühlschrank zwischengelagert wurde oder die Eltern haben einen entsprechenden Beitrag dafür bezahlt. Auch das „langsam […] anstellen“ ist von besonderer Bedeutung, denn es beschreibt, wie das Aufstehen ausgeführt werden soll und zwar langsam. Dabei handelt es sich gleichermaßen um einen Appellcharakter, da die indirekte Aufforderung, sich behutsam an der Schlange anzustellen, mitschwimmt. Insgesamt handelt es sich um eine stark strukturierte und organisierte Abfolge der eigentlich alltäglichen Essenssituation. Diese erfährt dadurch einen gewissen Inszenierungscharakter, denn die Kinder, welche eine Gemeinschaft bilden, indem sie aufgefordert werden, alle das Gleiche zu machen, sollen sich zuerst hinstellen, dann anstellen, um sich abschließend das Essen abzuholen. Auf Grund dieser festen Reihenfolge ist kein Freiraum für individuelle Bedürfnisse beziehungsweise Vielfalt. Stattdessen intendiert die Strukturiertheit einen Militär- oder auch Sektencharakter, welcher ein gewisses Pflichtbewusstsein bei den Kindern hervorrufen soll. Bezüglich der möglichen Anschlussoptionen ergeben sich auch bei dem zweiten Teil der ersten Aussage verschiedene Möglichkeiten. Der Satz könnte beispielsweise beendet sein und die Kinder stehen auf. Gleichermaßen ist denkbar, dass die Kinder trotz Weitersprechen der Person aufstehen und sich zur Essensausgabe begeben. Womöglich bleibt auch nur ein Teil sitzen und der andere erhebt sich oder es erfolgt eine Nachfrage/Anmerkung einer beziehungsweise mehrerer Personen, woraufhin es zu einer Unterbrechung kommt. Ebenfalls ist möglich, dass die bereits artikulierende Person weiterspricht. Im weiteren Verlauf bestätigt sich die zuletzt aufgestellte Vermutung, denn die Person führt den Monolog mit folgender Aussage fort:

(Zeile 13-14) „Aber wer drängelt, der muss sich ganz hinten anstellen!“

Dieser Ausdruck lässt zum einen Drohcharakter vermuten, wobei die Sanktion bei Nichteinhaltung direkt mitbenannt wird und zum anderen einen Appellcharakter, indem die Kinder aufgefordert werden, nicht zu drängeln. Dabei ist die Sanktion lediglich angebracht, wenn genug Essen für alle Jungen und Mädchen zur Verfügung steht. Jedoch lässt sich vermuten, dass das Essen nicht reicht beziehungsweise die Auswahlmöglichkeit zum Schluss nur noch eingeschränkt ist und eben dies die Strafe (Essensentzug) darstellt. Diese Aussage gibt dementsprechend erneut einen Hinweis auf eine inszenierte Handlung, da dies in dieser Form womöglich nicht im alltäglichen Leben, wie zum Beispiel zu Hause, vorzutreffen ist. Des Weiteren lässt sich ableiten, dass Anke bereits implizit davon ausgeht, dass es zu Drängeleien unter den Kindern kommt, denn ihre Äußerung könnte auch als eine Art Vorwarnung beziehungsweise Vorausahnung analysiert werden. Dabei initiiert das Wort „drängeln“ eine gewisse Böswilligkeit, da es sich dabei um eine egoistische Einzelhandlung handelt, welche gegen das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe spricht. Es wird somit alles dafür getan, die Gruppeninszenierung mit dem Ziel der „lieben Kinder“, durchzusetzen und für eine geschlossene Gruppe, in der alle gleichwertig sein sollen, zu sorgen. Diesbezüglich ergeben sich unterschiedliche Anschlussoptionen. Einerseits könnte die Person Anke weitersprechen und den Monolog fortführen, der Satz könnte jedoch auch als beendet aufgefasst werden woraufhin sich die Kinder von ihren Plätzen erheben. Ebenso denkbar ist, dass die Person (Anke) weiterspricht und trotzdem einige Kinder aufstehen oder das sich nur ein Teil der Gruppe erhebt und der andere sitzen bleibt. Genauso könnte eine Nachfrage einer oder mehrerer Personen zu dem genaueren Ablauf erfolgen oder es kommt zu einer Anmerkung einer weiteren Person. Im weiteren Verlauf stellt sich jedoch heraus, dass der Satz beendet ist und die Kinder aufstehen. Der genaue Wortlaut lautet:

(Zeile 15) Die Kinder stellen sich in einer Schlange an.

Das bedeutet, die Mädchen und Jungen fühlen sich als Gemeinschaft angesprochen, leisten der Aufforderung Folge und erkennen somit die Autorität von Anke sowie die von ihr aufgestellten Regeln an. Dies stellt einen erneuten Hinweis auf eine ritualisierte Handlung dar. Daraufhin sind verschiedenste Anschlussoptionen denkbar. Dazu zählt unter anderem, dass eine Person beginnt zu drängeln, dass das Ritual wie geplant durchgeführt wird, dass die Essensausgabe ruhig und wie befohlen verläuft, Anke erneut beginnt zu sprechen oder ihre vorherigen Ausführungen fortführt, falls sie unterbrochen wurde oder es kommt zu einem Gespräch unter den Kindern. Dies wäre, aufgrund der Tatsache, dass es nicht ausdrücklich verboten wurde, legitim. Jedoch konnte sich keine der vermuteten Optionen bestätigen, denn:

(Zeile 15) Anke und Karla geben das Essen aus.

Somit tritt eine neue Person (Karla) in die Situation. Dabei kann es sich entweder um ein Kind handeln, welches Anke bei der Essensausgabe unterstützt oder es ist eine Person, die hierarchisch mit Anke auf einer Ebene steht und eventuell auch ein Erwachsener ist. Deutlich wird anhand dieses Ausdruckes ebenfalls, dass sich die Kinder das Essen nicht selbstständig nehmen dürfen, denn es bedarf einer Ausgabe. Dabei bleibt unklar, ob dies eine Kontroll- oder eine Hygienemaßnahme darstellt oder ob es im Sinne der Gleichverteilung unter dieser Regelung von Statten geht. Sollte sich der zuletzt angesprochene Aspekt bestätigen, wird auch hier die Gruppenidee, dass alle gleich sind intensiviert beziehungsweise bestärkt. Jedoch ist festzuhalten, dass gleiche Bedingungen nicht zwangsläufig bedeuten, dass es für alle Kinder fair ist. Dementsprechend könnten sich einige Kinder im Sinne der Gleichverteilung beschweren und zwar, wenn jemand mehr erhält, als jemand anderes und es somit zu einer ungerechten Verteilung kommt. Denkbar wäre somit auch eine Schuldzuweisung gegenüber Anke und Karla, da diese beiden Personen für die Essensausgabe verantwortlich sind. Des Weiteren ist möglich, dass ein Kind nach Nachschlag bittet oder angibt, dass es die Portion nicht schafft aufzuessen. Zudem könnte*n ein oder auch mehrere Kinder mitteilen, dass sie das Essen nicht mögen. Außerdem ist auch in dieser Situation vorstellbar, dass ein Kind beginnt zu drängeln oder die Kinder beginnen, Gespräche zu führen. In Bezug auf Anke und Karla ist vorstellbar, dass diese Anweisungen erteilen, wie beispielsweise das Essen eingenommen werden soll, um eine klare Strukturierung zu initiieren. Bei der folgenden Sequenz:

(Zeile 15-16) Der vierjährige Hans schubst den dreijährigen Jordan gegen einen Stuhl.

handelt es sich um eine Handlungsbeschreibung. Da allerdings nur ein bestimmter Ausschnitt dargestellt wird, ergeben sich verschiedene Lesarten. Dazu könnte unter anderem die Situation zählen, dass Hans einen Grund dafür hat, Jordan zu schubsen. Denkbar ist zum Beispiel, dass Jordan gedrängelt hat und Hans daraufhin sanktionierend reagiert. Hans´s Reaktion könnte allerdings auch als eine Verteidigungshandlung angesehen werden, wenn Jordan ihn zuvor geärgert hat. Möglich ist auch, dass das Schubsen ohne Grund beziehungsweise Ursache erfolgt oder aber mit der Absicht von Hans, sich vor Jordan zu drängeln. Entsprechend der vielfältigen Lesarten, sind ebenfalls unterschiedlichste Anschlussoptionen möglich. Dazu zählt unter anderem, dass sich Jordan körperlich (wegschubsen…) oder/und verbal (Hilfe holen, Anschreien…) zur Wehr setzt oder aber auch, dass Anke und Karla reagieren, indem sie beispielsweise auf Hans als vermuteten „Täter“ eingehen, sanktionieren und das Schubsen somit als Tat anerkennen oder die allgemeine Frage: „Was passiert ist?“ stellen. Des Weiteren ist denkbar, dass ein anders Kind eingreift und die Querulanten Hans und Jordan ermahnt oder aber Anke und Karla auf die Situation aufmerksam macht, sodass diese eingreifen können. Somit ist ebenfalls vorstellbar, dass sich die beiden Personen (Anke und Karla) zunächst nach dem Gesundheitszustand von Jordan interessieren und demnach schauen, ob es ihm gut geht oder ob er sich eventuell verletzt hat. Vorausgesetzt, die Lesart, dass Hans als Täter identifiziert wird, trifft zu. Eine letzte mögliche Anschlussoption stellt die Situation dar, in der die Tatsache, dass Hans Jordan geschubst hat, einfach hingenommen wird und sich Jordan wieder an seinen Platz stellt. Bestätigt sich diese Vermutung, würde dies erneut einen starken Hinweis auf eine Inszenierung darstellen, da die Kinder vermutlich bereits im Vorhinein sanktioniert wurden und somit „vertraut“ mit der Vorgehensweise sind. Bei der sich anschließenden Sequenz:

(Zeile 16) Karla bekommt das mit.

handelt es sich erneut um eine Beschreibung von dem, was tatsächlich erfolgt ist und bedarf aus diesem Grund keiner weiteren Interpretation. Daraufhin äußert Karla:

(Zeile 17) Karla: „Äh, Hans, was hat die Anke vorhin gerade gesagt?“

Diese Aussage könnte entweder als rhetorische Frage in Form eines Appells, sich an die Regeln zu halten, gedeutet werden, oder als Ermahnung (ermahnender Charakter), da sich Karla auf das Vorwissen beruft, indem sie Hans daran erinnert, dass Anke sich dazu bereits geäußert hat. Ebenfalls denkbar ist die Äußerung mit einem abfragenden Charakter, denn das „vorhin gerade“ impliziert den Vorwurf, dass Hans dies wissen sollte oder/und er nicht zugehört hat. Dementsprechend greift Karla eine mögliche Rechtfertigung von Hans Seite vorweg und entkräftigt diese gleichermaßen, da der Junge gar nicht dazu kommt, zu sagen, dass er es nicht wusste. Des Weiteren ist spannend zu sehen, dass durch das Ansprechen von Hans, dieser automatisch als Täter beziehungsweise Schuldiger adressiert wird. Im Anschluss besteht unter anderem die Option, dass sich Hans zu Wort meldet und auf die Aussage von Karla antwortet. Ebenso könnte Karla ihre Äußerung konkretisieren, somit näher auf den Sachverhalt eingehen und sich eventuell auch ihre gestellte Frage eigenständig beantworten. Ebenfalls denkbar ist, dass sich andere Personen in die Situation einmischen, um Hans zu provozieren oder gegebenenfalls auch zu unterstützen, indem sie beispielswiese äußern, dass er gar nichts gemacht hat. Eine weitere Anschlussoption könnte sein, dass sich Jordon zu Wort meldet oder vielleicht nonverbal reagiert, indem er beginnt zu weinen. Die folgende Sequenz:

(Zeile 17) „Es wird hier nicht gedrängelt“

stellt eine Wiederholung von dem dar, was Anke zu Beginn bereits geäußert hat. Die Aussage könnte somit zum einen als bloße Information gedeutet werden oder aber auch als Ermahnung mit einem integrierten Appellcharakter, nämlich nicht zu drängeln. Besonders interessant ist diesbezüglich das Wort „hier“, denn es verdeutlich, dass nur in dieser Situation beziehungsweise an diesem Ort nicht gedrängelt werden soll. Fraglich ist dabei, ob es dementsprechend woanders legitim und somit erlaubt ist. Aus dem „hier“ könnte ebenfalls ein gewisser Vorwurfscharakter herausgelesen werden, denn die „Regel“ könnte wie folgt lauten: Hier darfst du nicht drängeln, sonst gehörst du nicht zu den lieben Kindern. Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist die Formulierung „Es wird […]“, denn damit bezieht sich Karla, welche dies geäußert hat, nicht ausschließlich auf Hans, sondern allgemein auf die Anwesenden. Dies schürt den Eindruck, dass bei ihr eventuelle Unsicherheiten bezüglich der Frage vorherrschen, wer denn tatsächlich gedrängelt hat. Die möglichen Anschlussoptionen sind auch in dieser Sequenz wieder sehr vielfältig. Vorstellbar ist zum einen, dass Hans das „Fehl“-Verhalten anerkennt und sich entschuldigt oder genau das Gegenteil eintritt, dass er die Schuld nicht auf sich nimmt und somit rechtfertigt. Zum anderen wäre es möglich, dass sich auch Jordan erneut einmischt und die von Karla getätigte Aussage bestätigt. Diese wiederum könnte die Regel erneut vollständig aufführen oder mit einer Strafe/Folge oder auch Sanktion drohen, sobald der Aufforderung nicht nachgekommen wird. Denkbar wäre diesbezüglich allerdings auch, dass nicht erst eine Androhung möglicher Folgen erfolgt, sondern direkt sanktioniert wird. Die Zeile 17-18 wird anschließend mit

(Zeile 17-18) „und schon gar nicht rumgeschubst!“

fortgeführt. Diese Aussage kann als eine Steigerung zu dem vorher Geäußerten interpretiert werden. Des Weiteren lässt das „schon gar nicht“ vermuten, dass es sich um einen Vorwurf gegenüber den Kindern handelt, dass diese eigentlich wissen müssten, dass nicht geschubst wird. Dabei wird gleichermaßen ein Hierarchiegefüge deutlich, denn das Schubsen wird über das Drängeln gestellt. Zudem ist ein Appell- oder Ausrufcharakter denkbar, da die indirekte Aufforderung, nicht zu schubsen, erfolgt. Ebenso wurde mit dem Drängeln gerechnet und dementsprechend explizit genannt. Das Schubsen wird bei der ersten Äußerung jedoch nicht berücksichtigt, weshalb es nun im Anschuss „nachgeholt“ wird. Da vor Hans Handlung also nicht explizit von Anke geäußert wurde, dass nicht geschubst werden darf, kann dieser auch nicht vollständig auf die Frage von Karla (Äh, Hans, was hat die Anke vorhin gerade gesagt?) antworten. Sich daran anschließen könnte sich zum einen, dass Hans sein Verhalten anerkennt und sich dafür entschuldigt. Es ist allerdings ebenso möglich, dass er es nicht anerkennt und sich beginnt zu rechtfertigen. Zum anderen könnte sich Jordan erneut einschalten und die Aussage von Karla bestätigen oder es folgt eine Androhung beziehungsweise direkte Ausführung einer Strafe/Folge/Sanktion, wenn der Aufforderung von Seiten der Kinder nicht nachgekommen wird. Wie bereits vermutet, erfolgt im Anschluss die vorhergesagte Sanktion:

(Zeile 18) „Stell dich hinten an!“

Dabei handelt es sich um eine Aufforderung, wobei gleichzeitig eine gewisse Hierarchie festzustellen ist, denn Karla befehlt Hans, was zu tun ist. Somit entsteht die Vermutung, dass sie über ihm steht und die Befugnis hat, bestimmte Dinge zu befehlen. Festzustellen ist ebenso, dass es sich nun um eine direkte Anrede handelt und nicht mehr um eine im Passiv stehende Aussage. Auch innerhalb dieser Äußerung bieten sich verschiedene Anschlussoptionen an, wie zum Beispiel, dass Hans der Aufforderung nachkommt und sich hinten an die Schlange anstellt. Des Weiteren könnte sich Hans für seine Handlung entschuldigen oder gegebenenfalls auch rechtfertigen. Genauso, wie in der vorherigen Sequenz, wäre möglich, dass sich Jordan auch hier zu Wort meldet und Karlas Aussage bestätigt. Ebenso ist denkbar, dass eine Drohung erfolgt, falls der Sanktion nicht nachgekommen wird. Daraufhin äußert Hans:

(Zeile 19) Hans: „Aber der hat mich geärgert!“

Somit wird die Anschlussoption, dass sich Hans rechtfertigt, bestätigt. Er beharrt dementsprechend auf seinem Standpunkt und stimmt mit dem „Aber“ dem Vorwurf nicht zu und verweigert vermutlich das Hintenanstellen. Dass er die Sanktion verwehrt, wird allerdings nicht direkt von ihm geäußert. Zudem kann festgehalten werden, dass das „der“ als Anrede für Jordan eher abwertend gemeint ist. Hans geht vermutlich davon aus, dass Karla weiß, wen er meint und dass sie die vorangegangene Situation beobachtet hat. Daraufhin könnte sich beispielsweise Karla rechtfertigen und ihre Sanktion begründen. Ebenso ist vorstellbar, dass sich Jordon äußert und sich verbal zur Wehr setzt. Oder Hans kommt zu Wort, führt seinen Einwand weiter aus oder verweigert gegebenenfalls auch die Sanktion. Wie bereits vermutet, kommt Jordan im Anschluss zu Wort. Er äußert:

(Zeile 20) Jordan: „Gar nicht, du wolltest dich vordrängeln!“

Dementsprechend stimmt er der Aussage von Hans nicht zu und versucht sich gleichermaßen zu rechtfertigen, indem er Hans mit einem Vorwurf entgegnet. Spannend dabei zu sehen ist das „du wolltest“, denn es intendiert, dass Hans den Vorgang des Vordrängelns noch gar nicht vollzogen hat. Stattdessen unterstellt er ihm die Tat. Bei dem „gar nicht“ könnte es sich derweil um eine Trotzreaktion handeln, um das zuvor gesagte abzuwehren. Vorstellbar ist diese Äußerung ebenfalls mit einem reinen Informationscharakter, um die Situation zu klären beziehungsweise zu erklären oder Jordan verfolgt mithilfe dieser Formulierung das Ziel, sich vor einer Sanktion oder allgemein vor möglichen Strafen zu schützen. Folgende Anschlussoptionen wären möglich: ein Einschalten von Anke und Karla in die Situation wäre denkbar, Hans könnte sich rechtfertigen oder erstmal grundsätzlich darauf reagieren. Ebenso ist es möglich, dass sich eine dritte Person zu Wort meldet, welche behauptet, die Situation gesehen zu haben und sich nun in der Lage fühlt, diese auch klären zu können oder aber Jordon redet weiter. Die Zeile 21, in welcher Karla:

(Zeile 21) Karla: „Ich diskutiere jetzt nicht mit dir, Hans!“

äußert, intendiert einen Drohcharakter und obwohl Jordan zuletzt gesprochen hat, bezieht sich die sprechende Person auf Hans. Es lässt sich dementsprechend vermuten, dass Karla davon ausgeht, dass nur Hans die Schuld trifft. Des Weiteren könnte aus dem Ausschnitt herausgelesen werden, dass Karla die Diskussion mit dieser Äußerung beenden möchte. Interessant ist dabei das „jetzt nicht“, denn es lässt vermuten, dass sie eventuell zu einem anderen Zeitpunkt mit ihm diskutieren möchte. Anschließend ergeben sich erneut verschiedene mögliche Fortsetzungen. Denkbar ist zum einen, dass Hans weiter diskutiert oder von einer anderen Person in Schutz genommen wird. Zum anderen könnte Karla die Sanktion wiederholen oder gegebenenfalls durchführen oder Jordon reagiert erneut, da er sich nun bestätigt fühlt. Ebenso ist möglich, dass sich die Situation nach dieser Äußerung auflöst. Der Abschluss der Zeile 21 erfolgt durch die Sanktion von Karla:

(Zeile 21) „Geh hinter!“

Dabei verwendet sie den Imperativ in Form einer direkten Aussage beziehungsweise Aufforderung, was wiederum einen Militärcharakter erahnen lässt. Nun könnte Hans entweder der Sanktion nachkommen oder diese verweigern. Ebenso ist denkbar, dass Jordan reagiert und sich als „Gewinner“ bestätigt fühlt. Jedoch könnte sich auch Anke einschalten und Karlas Aussage bestätigen/bekräftigen, da sie die Regel ursprünglich auch aufgestellt hat. Die letzte zu analysierende Sequenz lautet:

(Zeile 22) Hans stellt sich hinten an die Schlange.

Er kommt somit der Aufforderung von Karla nach und die Diskussion kann als beendet gefasst werden. Hans sieht die Situation womöglich ein oder stellt sich aus Trotz hinten an, um einer weiteren Debatte aus dem Weg zu gehen.