Interpretation zu „Hunger!“,

Analyse zum Fall „Hunger!“ (20D_0018)


Autor*in
anonym (Falleinreichung durch Zentrum für Lehrer*innenbildung, MLU) |
Auswertungsmethode/n



Thema:
Disziplinierungsmaßnahmen im Kontext der Kinder- & Jugendpsychiatrie

Methode:
Objektive Hermeneutik

Entstehungskontext:
AuPP


Feinanalyse

(Zeile 7) K: „Kann ich noch was haben?“

Eine beliebige Person stellt eine Frage in den Raum. Dabei fordert die Person K etwas von einer anderen Person oder anderen Personen ein. Es geht dementsprechend um das wiederholte Erhalten von etwas. Dieses „Etwas“ lässt sich aus der Frage der Person nicht erschließen. Es wären verschiedene Situationen denkbar. K könnte beispielsweise nach Geld, Kleidungsstücke oder Ähnlichem fragen. Weiterhin wäre es auch möglich, dass die Person in einer Kantine steht und nach einer weiteren Essensportion fragt oder aber, dass Sarkasmus im Spiel ist – sprich, dass die Person, beispielweise bei einer Prügelei, nach noch mehr Schlägen fragt. In was für einer Situation man sich hier befindet, lässt sich noch nicht herauskristallisieren, da das „Etwas“ von der Person nicht klar definiert wird. Durch die fehlende Definition kann man davon ausgehen, dass alle anwesenden Personen genau wissen, was mit dem „was“ gemeint ist. Durch die Nutzung des Wortes „haben“, spricht K dabei mit einer leichten Form der Höflichkeit. Dabei verwendet die Person keinen Konjunktiv, wodurch eine Einforderung noch deutlicher wird. Auch das Wort „können“ wird hierbei in einem eher unüblichen Kontext verwendet – da es eigentlich so viel bedeutet wie „im Sinne zu etwas befähigt sein“. Durch die Kombination aus können und haben wird allerdings schnell deutlich, dass die Person das Wort „können“ für das Wort „dürfen“ verwendet. Dabei lässt sich feststellen, dass „können“ schwächer ist als „dürfen“ und die Person dementsprechend davon ausgeht, dass es etwas darf, aber trotzdem vorher noch einmal nachfragt. Dieses Nachfragen von der Person K deutet auf ein bestehendes Machtgefälle hin. Die Person oder Personen, welche K in diesem Fall anspricht, haben im Endeffekt die Entscheidungsgewalt darüber, ob K das „Etwas“ erhalten darf oder aber nicht. K hat dabei seine Frage als eine Ja/Nein- Frage formuliert, wodurch es nur zwei mögliche Ausgänge gibt:
1. Die Person K darf noch „etwas“ haben
2. Die Person K darf nicht noch „etwas“ haben
Dabei verlangt die Frage nicht nach einer Begründung.

(Zeile 8) E: „Wie viele Portionen hattest du denn schon?“

Man kann nun davon ausgehen, dass die Person K „Etwas“ von nur einer anderen Person eingefordert hat, da diese der Person antwortet. Dabei antwortet E wider Erwarten nicht mit einer Ja/Nein-Antwort, sondern mit einer Gegenfrage. Dabei fällt in der Frage das Wort „Portionen“, wodurch man nun davon ausgehen kann, dass es sich um eine Situation handelt, in welcher Nahrungsmittel eine Rolle spielen. Es wäre also möglich, dass sich die Person in einem Gespräch mit einer bekannten oder völlig fremden Person befindet, welche Essen oder Trinken ausgibt. Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass das Personalpronomen „du“ verwendet wird. Man kann daraus schließen, dass die beiden Personen sich entweder kennen, da sie sich duzen, oder aber, dass es sich um eine lockere Atmosphäre handelt, in welcher Höflichkeitsfloskeln unüblich sind. Da die Person hier die Vergangenheitsform verwendet, kann man davon ausgehen, dass Person K schon mindestens eine Portion Essen oder Trinken bekommen hat und die Person nun erfragen möchte, wie viele Portionen es insgesamt waren. Durch das Erfragen der Portionenanzahl kann man davon ausgehen, dass es womöglich Vorschriften oder Regelungen gibt, wie viele Portionen man insgesamt erhalten darf, da ansonsten die Frage von E nicht notwendig gewesen wäre. Die Person hat nun die Möglichkeit mit einer direkten oder indirekten Portionenanzahl zu antworten.

(Zeile 9) K: „Ich hatte zwei“

Die Person entscheidet sich für eine direkte Angabe der Portionen und benennt sie mit der Kardinalszahl „Zwei“. Ohne den Bezug zu der vorangegangenen Frage wäre wieder einmal keine konkrete Definition von dem „Etwas“ möglich. Da man weiß, dass die andere Person allerdings nach Portionen gefragt hat, lässt sich schließen, dass die Person von zwei Essens- oder Trinkportionen spricht. Dabei benutzt Person K bei seiner Aussage die Vergangenheitsform „hatte“, wodurch signalisiert wird, dass die Portionen nicht mehr existieren beziehungsweise nicht mehr im Besitz der Person K sind. Eine mögliche Konsequenz wäre nun, dass die andere Person K noch eine weitere Portion gibt, beziehungsweise es zulässt, dass K noch eine weitere Portion erhält. Es wäre auch möglich, dass K die neue Portion verweigert wird.

(Zeile 9) K: „Die Zweite war aber nur ne Kleine.“

Anstatt der anderen Person die Möglichkeit zu geben, auf das Gesagte zu antworten, schiebt K noch einen weiteren Aussagesatz hinterher. Dabei kommt das Wort „aber“ zum Tragen, was eigentlich für die Verdeutlichung eines Widerrufes verwendet wird. In dieser Situation verwendet K das Wort allerdings um die „Zweite“ genauer zu beschreiben. Hierfür wird zusätzlich das Wort „nur“ verwendet, wodurch das „Zweite“ abgeschwächt und beschönigt wird. Kombiniert bedeuten diese beiden Dinge, dass sich die Person gerne vor der anderen Person E rechtfertigen möchte. Besonders auffällig ist auch hier wieder, dass K das „Etwas“ nicht genauer beschreibt. Nur durch das Benennen „der Portionen“, durch die andere Person E, weiß man, dass man sich im Nahrungsmittelkontext befindet. Person K stellt diesen nicht klar heraus. Weiterhin wird die umgangssprachliche Form von „eine“ verwendet – „ne“. Man kann dementsprechend davon ausgehen, dass die andere Person keine fremde Person für K ist, beziehungsweise, dass in dieser Situation keine Fachsprache verlangt wird. Als mögliche Reaktion der anderen Person E kann man von einer Beantwortung der ersten Frage ausgehen, da diese noch nicht klar beantwortet wurde.

(Zeile 10) E: „K du weißt, dass du nur zwei Portionen bekommst.“

Die andere Person gibt K nun eine indirekte Antwort auf die Frage „Kann ich noch was haben?“ – es wird dementsprechend nicht mit einer klaren Ja/Nein-Aussage reagiert. Stattdessen verwendet die andere Person die Flausel „K du weißt,…“, wodurch auf bereits erworbenes Wissen von der Person K aufmerksam gemacht wird. Die Person möchte dementsprechend K einen Hinweis geben, dass K bereits Kenntnis von dem anschließend Gesagten besitzen sollte und versucht auf diesem Weg das Wissen von der Person K zu reaktivieren. Die Person E und K sind sich dementsprechend nicht fremd, beziehungsweise besitzt die Person E Kenntnis über bestimmtes Wissen von K. Im anschließenden Teil „…,dass du nur zwei Portionen bekommst“ erfährt man nun, auf was die Person K aufmerksam gemacht werden soll – K bekommt nur zwei Portionen zu Essen oder Trinken. Hierbei kristallisiert sich eine klare Regel heraus. Aufgrund des Wortes „bekommen“ erhält der Satz eine sehr bestimmende Funktion und ein Widerspruch scheint unmöglich. Diese Nachdrücklichkeit wird zusätzlich durch das verwendete Wort „nur“ verstärkt. Hierbei handelt es sich um einen Partikel, welcher laut dem Duden einer Aussage oder Aufforderung eine bestimmte Nachdrücklichkeit verleiht (Vgl. Duden). Dabei formuliert die andere Person auch ganz deutlich, dass diese bestehende Regel nur für K gilt. Hierfür verwendet sie das Personalpronomen „du“, wodurch auch hier wieder ein Machtgefälle deutlich wird. Aus welchen Gründen dieses Gefälle besteht, lässt sich an dieser Stelle immer noch nicht feststellen. Allerdings ist K der Person E in diesem Kontext deutlich unterstellt. Es lässt sich festhalten, dass es sich weiterhin um einen unbestimmten Essens- oder Trinkkontext handelt, allerdings besitzt die Person E dabei ein bestimmtes Wissen, welches auch Regelhaftigkeiten zu dem Essens- oder Trinkverhalten von der Person K einschließt. Die beiden Personen können sich dementsprechend nicht fremd sein.

(Zeile 10) E: „Und du weißt auch warum.“

Auch der anschließende Aussagesatz verweist noch einmal deutlich auf das bereits erworbene Wissen von K und verleiht dem vorher Gesagten Nachdruck. Hierbei möchte die Person E andeuten, warum K nur zwei Portionen zu Essen erhält. Was den genauen Grund darstellt, bleibt dabei unausgesprochen und schwebt im Raum. Dabei verdeutlicht das „auch“, dass beide Personen E und K den genauen Grund für die festgelegte Regel kennen. Ein Aussprechen des Grunds scheint somit nicht von Nöten zu sein. K hat nun drei Möglichkeiten auf die Aussage von E zu reagieren:
1. K könnte die vorher festgelegte Regel akzeptieren
2. K könnte der vorher festgelegte Regel nicht nachgeben und versuchen E umzustimmen
3. K könnte den Grund für das Bestehen der Regel an dieser Stelle noch einmal erfragen, falls diese
nicht mehr im Wissensbestand verankert sein sollte.

(Zeile 11) K: „Schwester C gibt mir aber auch immer noch was.“

Die Person K entscheidet sich ganz deutlich dafür, der Regel nicht nachzugeben und startet einen Überredungsversuch, indem eine dritte Person mit hinzugezogen wird, welche vorher im gesamten Kontext noch keine Rolle gespielt hat – Schwester C. Die Bezeichnung beziehungsweise Ansprache der Person C als Schwester deutet auf einen medizinischen Kontext hin. Daraus lässt sich schließen, dass der Rahmen auf medizinische Institutionen reduziert werden kann und K den beiden Personen E und C in diesen möglichen Kontexten unterstellt ist. Weiterhin wird die Person E durch die Aussage von der Person K mit der Schwester C gleichgestellt – „gibt mir aber auch…“. E stellt somit für die Person K ebenfalls eine „Schwester“ im medizinischen Kontext dar. Darüber hinaus wird deutlich, dass K scheinbar nicht nur Person E mit dem Thema Portionen in Verbindung bringt, sondern auch andere Personen diesbezüglich eine Rolle für K spielen. Es scheinen dementsprechend mehrere Personen in das Thema und die damit verbundene Regel involviert zu sein. Diese Involviertheit von mehreren Personen versucht K in diesem Fallbeispiel auszunutzen. Durch den Vergleich mit der anderen Person C, erschafft K einen Grund, um noch mehr von „etwas“ zu bekommen und erschafft gegen die Person E ein Druckmittel. Schwester C scheint K nämlich „immer“ noch mehr Portionen zugeben. Damit verdeutlicht K, dass man bei Schwester C jedes Mal davon ausgehen kann, dass die Regel nicht befolgt werden muss. Besonders auffällig ist auch hier wieder, dass K zum jetzigen Zeitpunkt im fortlaufenden Gesprächsverlauf noch nicht einmal das „was“ klar definiert hat. Wie auch weiter oben bereits erkannt, benennt K den Gegenstand nie eindeutig. Hieraus ergibt sich die Frage, ob K vielleicht versucht die Thematik durch ein indirektes Ansprechen zu vermeiden. Gibt es möglicherweise ein Problem mit der Thematik Ernährung? Es lässt sich zu diesem Festpunkt also festhalten, dass K der Schwester E unterstellt ist, da E entscheiden darf, ob K noch „Etwas“ zu sich nehmen darf. Dabei ist immer noch unklar, ob es sich bei „Etwas“ um eine Mahlzeit oder ein Getränk handelt. Es ist nur klar, dass es sich um einen Ernährungskontext handelt. Weiterhin besteht normalerweise – vorausgesetzt Schwester C ist nicht da – die Regel für K nur zwei Portionen von dem „Etwas“ zu erhalten. Aufgrund der Bezeichnung Schwester wird von nun an, von einem medizinischen Kontext ausgegangen – Beispiele hierfür wären Pflegeheime, Krankenhäuser, Psychiatrien oder auch private Pflegekräfte zu Hause. Es wären nun verschiedene Reaktionen denkbar:
1. Schwester E gibt K nach und lässt eine weitere Portion zu
2. Schwester E bleibt standhaft und K erhält keine weitere Portion
3. Schwester E erkundigt sich über den Regelbruch von Schwester C
4. Schwester E zeigt keine Reaktion

(Zeile 12) E: „Trink lieber noch was und dann reicht’s für heute.“

Schwester E entscheidet sich für die zweite Variante und lässt keine weitere Portion für K zu. Hierbei äußert sich E eher indirekt und äußert nicht klar und deutlich, dass K keine weitere Portion erhalten wird. Stattdessen entscheidet sich E dazu, eine Alternative aufzuzeigen – „trink lieber noch was“. Aufgrund dieser Alternative lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei der nachgeforderten Portion nicht um ein Getränk handelt, sondern das E von Beginn an nach einer weiteren Essensportion bittet. Da E der aufgestellten Regeln Folge leisten möchte und K keine weitere Essensportion erhalten soll, versucht E der Person K eine andere Option aufzuzeigen. Dabei verwendet sie das Wort „lieber“, was laut dem Duden so viel bedeutet wie: vorzugsweise, klugerweise, besser. (Vgl. Duden) Somit möchte Schwester E der anderen Person vermitteln, dass es viel besser wäre, wenn K etwas trinken würde, anstatt noch eine weitere Essensportion zu sich zu nehmen. Auch die darauffolgende Floskel „und dann reicht’s für heute“, welche wieder sehr umgangssprachlich geprägt ist, verdeutlicht den Standpunkt der Schwester E. K wird heute keine weitere Portion erhalten. E eröffnet somit für K noch einmal die Möglichkeit, etwas zu trinken und danach gibt es heute nichts mehr – weder Essen noch Trinken. Somit nimmt Schwester E der anderen Person jeglichen Raum für Widerspruch. Sie setzt somit einen Schlussstrich und verdeutlicht hiermit auch ein Ende der Diskussion. K hat nun eigentlich nicht besonders viele Alternativen um auf das Gesagte zu reagieren:
1. K nimmt statt einer weiteren Portion Essen noch ein Getränk zu sich
2. K nimmt weder eine weitere Portion Essen, noch ein Getränk zu sich

(Zeile 12-13) E: „Das liegt sonst so schwer im Magen und dann kannst du nicht gut schlafen.“

Statt K auf das Gesagte reagieren zu lassen, schiebt Schwester E direkt noch einen anschließenden Satz zu ihrem Entschluss, dass K keine weitere Portion erhalten wird, hinterher. Dabei versucht E eine Rechtfertigung beziehungsweise Begründung aufzustellen, warum es nicht besonders gut für K wäre, noch eine Essensportion zu sich zu nehmen – „das liegt sonst so schwer im Magen“ und „dann kannst du nicht gut schlafen“. K würde dementsprechend nur mit negativen Konsequenzen für sich selbst rechnen müssen, wenn eine weitere Essensportion folgen würde. Dabei drückt sich Schwester E sehr bestimmt aus, wodurch der Eindruck entsteht, dass das Gesagte auf jeden Fall eintreten wird, wenn K noch etwas zu sich nehmen sollte. Schwester E hat somit anscheinend mehr Ahnung von dem, was für K gut, als Person K selbst, wodurch wieder einmal ein starkes Machtgefälle deutlich wird. Schwester E scheint wissender und erfahrender zu sein als Person K – selbst bei eigenen Belangen von K. Woher dieses Machtgefälle ruht, ist immer noch nicht herauslesbar.

(Zeile 14) K: „Ich habe aber noch Hunger!“

Person K nimmt die Aussage von Schwester E nicht hin und verdeutlicht ihr, dass an dieser Stelle bei K -„ich“- noch ein Hungergefühl vorliegt. Das „aber“ spiegelt Schwester E dabei ganz deutlich einen Widerspruch zu ihrem Gesagten wieder. Für K scheint Trinken demnach keine Alternative zu sein, da Hunger besteht. Weiterhin wird deutlich –„noch Hunger“ –, dass die bereits zu sich genommenen Portionen K noch nicht befriedigt haben, denn das Bedürfnis besteht weiterhin. Es konnte dementsprechend keine Bedürfnisbefriedigung durchgeführt werden. An dieser Stelle vertritt Person K erstmals klar und deutlich den eigenen Standpunkt und beschreibt sehr deutlich, warum eine weitere Essensportion gewünscht wird. Diese Aussage wird dabei durch einen Ausrufesatz unterstützt und verdeutlicht, dass dringende Bedürfnis nach Essen bei Person K, wodurch sich eine leichte Ungeduld erahnen lässt. Schwester E hatte bereits vorher verdeutlicht, dass sie dem Bedürfnis der Person K nach einer weiteren Portion Essen nicht nachgeben wird. Trotzdem wäre nun denkbar, dass Schwester E:
1. Dem nun deutlich gemachten Bedürfnis von Person K nachgibt, da eigentlich jeder Mensch ein Recht auf die eigene Bedürfnisbefriedigung besitzt
2. Schwester E der Bedürfnisbefriedigung von Person K nicht nachgibt, hierfür dann allerdings eine Erklärung liefert.

(Zeile 16) K: „Hunger! Hunger! Hunger!“

Die eben bereits erahnte Ungeduld ist an dieser Stelle vollkommen zu spüren. Schwester E scheint keine Reaktion auf das Gesagte von Person K gezeigt zu haben, woraufhin K mit einer Wortwiederholung auf das eben bereits genannte Bedürfnis ungeduldig aufmerksam macht. Hierbei äußert sich K nicht mehr in klaren Sätzen, sondern lediglich mit der Wiederholung des Wortes „Hunger“. Diese sehr einfach gehaltene und rudimentäre Wortwiederholung ist sehr untypisch für einen erwachsenen Mensch und lässt eher auf ein Kleinkind schließen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Person K, welche vorher noch in klar strukturierten Hauptsätzen sprechen konnte, vermutlich ein Kind ist, welches nun aus der Ungeduld heraus, Wortfetzen in den Raum wirft. Diese Reaktion erscheint sehr kindlich und trägt keinen wertvollen Inhalt zu dem diskutierenden Gespräch bei.
An dieser Stelle lässt sich demnach die Situation noch einmal folgendermaßen zusammenfassen: Das Gespräch erfolgt zwischen einer Schwester E, welche in einem medizinischen Kontext handelt – dieser ist zurzeit noch nicht bestimmbar – und einem Kind K. Beide führen einen Diskurs darüber, ob Kind K noch eine weitere Portion Essen von der Schwester E erhalten darf. Diese betont während des Gesprächs eine Regel, welche für das Kind K gilt – der Grund für die Regel bleibt dabei unbenannt -, wobei Kind K Wissen darüber zu haben scheint, warum nur zwei Portionen zulässig sind. Schwester E lässt sich von dem Kind K in dem Diskurs nicht umstimmen und gestattet Kind K keine weitere Portion Essen, obwohl Kind K noch ein Hungerbedürfnis hat.

(Zeile 19) K: „Huuuuunger!“

(Zeile 20) K: „Ich will noooooch was essen!“

Schwester E scheint derzeit nicht mehr an dem Dialog teilzunehmen, da keine Reaktion auf das Gesagte von Kind K folgt, was wiederum zur Folge zu haben scheint, dass Kind K immer wieder betont, dass es Hunger hat und noch „Etwas“ essen möchte. Dieses Bedürfnis wird weiterhin mit sehr rudimentären und langgezogenen Sätzen ausgedrückt. K scheint dementsprechend nicht hinnehmen zu wollen, dass an dieser Stelle die Diskussion ihr Ende findet, indem Schwester E nicht weiter auf das Gesagte eingeht. Das Monologisieren von K scheint darin seinen Ursprung zu finden. Dabei zeugen die weiterhin sehr rudimentär gehaltenen Sätze und die nun zusätzlich langgezogenen Vokale von einer zunehmenden Ungeduld. Kind K scheint die Entscheidung von Schwester E unter keinen Umständen akzeptieren zu wollen. Die Situation könnte sich folgendermaßen weiterentwickeln:
1. Schwester E gibt Kind K doch noch etwas zu Essen
2. Schwester E gibt dem Kind Einhalt und verdeutlicht noch einmal, dass es keine weitere Portion erhalten wird
3. Schwester E geht weiterhin nicht auf das Kind ein und sitzt die Situation ohne weitere Kommentare aus
4. Schwester E verlässt die Situation

(Zeile 24) K: „Nein das ist meiner.“

Schwester E scheint weiterhin nichts äußern zu wollen und Kind K ergreift wieder einmal das Wort. Dieses Mal allerdings mit einem Satz, der scheinbar eine Reaktion auf etwas ist, da hier etwas verneint wird. Damit etwas verneint werden kann, muss entweder eine Frage oder eine Handlung vorausgegangen sein. Da in dem Protokoll keine weitere sprachliche Reaktion auftaucht, kann man von einer Handlung ausgehen. Dementsprechend muss Schwester E, da ansonsten keine weiteren Teilnehmer bekannt sind, eine Handlung durchgeführt haben, welche K verneint. Mit der Aussage „das ist meiner“ beschreibt das Kind einen Gegenstand, welcher scheinbar ihm gehört beziehungsweise in seinem Besitz ist. Wenn man diese Aussage mit der Verneinung verknüpft, lässt sich daraus schließen, dass dieser Besitz ihm scheinbar weggenommen werden soll, da er sozusagen den Besitz mit einer Verneinung koppelt. Man könnte die Aussage demnach als eine Art Besitzergreifung werten. Da bereits aus der vorangegangenen Analyse hervorgegangen ist, dass Kind K sowohl einen Teller, wie auch einen Becher, vor sich zu stehen hat, und es im Gespräch bis jetzt um die Diskussion um eine weitere Essensportion geht, lässt sich annehmen, dass möglicherweise der Teller beziehungsweise die Tasse von Kind K entfernt werden sollte. Dabei kann man eventuell davon ausgehen, dass Schwester E das Kind K doch nicht vollkommen ignoriert hat und diese Handlung als Reaktion auf K’s rudimentäre Schlagworte gezeigt hat.

(Zeile 25) E: „So du nimmst dir jetzt drüben alle Ringe ab und gehst ins Bett!“

Schwester E meldet sich an dieser Stelle wieder zu Wort und zeigt eine Reaktion auf die Verneinung K’s, sodass man davon ausgehen kann, dass sich K ihr weiterhin widersetzt hat, was wiederum die vorangegangene Hypothese unterstützt. E befiehlt K mit der Imperativs Form „du nimmst“ und „du gehst“, sich alle Ringe drüben abzunehmen und anschließend das Bett aufzusuchen. Dabei verweist der Imperativ auf die befehlende, zwingende und bindende Form, mit welcher sich Schwester E äußert. Für das Kind K gibt es an dieser Stelle keinen Widerspruch und es muss in diesem Fall die Konsequenzen tragen. Dabei fällt auf, dass Schwester E keinen genauen Grund für diese Zurechtweisung angibt und man nur aufgrund der vorangegangenen Situation Vermutungen anstellen kann, woraus sich schließen lässt, dass das Gesagte eine erzieherische Maßnahme oder auch Strafe für Kind K darstellen soll. Diese Strafe besteht einerseits aus dem zu Bett gehen und andererseits aus dem Abnehmen der Ringe. Was es genau mit den Ringen auf sich hat, ist aus dem Gespräch nicht zu erschließen. Es könnten beispielsweise Schmuckringe in Form von Ohrringen oder Piercingringen gemeint sein, welche vor dem Schlafen gehen rausgenommen werden müssen. Weiterhin wäre es auch möglich, dass hier auf ein Ringsystem, welche oftmals in den Kinder- und Jugendpsychiatrien verwendet werden, angespielt wird. Deutlich wird allerdings, dass man zu dem medizinischen Kontext, nun auch einen erzieherischen Kontext hinzudeuten kann.

Zusammenfassung

Zusammenfassend wurde festgestellt, dass hier zwei Personen miteinander agieren – Schwester E und Kind K. Dabei fragt K nach einer weiteren Essensportion bei Schwester E an, welche gegenüber K eine bestehende Regel erwähnt –K darf nur zwei Essensportionen erhalten – weshalb für Schwester K keine dritte Portion zulässig ist. Kind K beginnt daraufhin mit einer Diskussion. Ab einem gewissen Zeitpunkt zieht sich Schwester E aus dieser zurück und zeigt keine Reaktion mehr. An dieser Stelle schwenkt Kind K zu rudimentären Aussagen um. Daraufhin scheint Schwester E dem Kind K eventuell den Teller oder den Becher wegzunehmen, dies ist allerdings nicht eindeutig nachweisbar und basiert auf reiner Vermutung. Nach einer Weile äußert sich Schwester E wieder und verweist Kind K in sein Bett. Vorher soll sich K noch alle Ringe abnehmen. Klar ist, dass Kind K an dieser Stelle bestraft werden soll, wofür genau, wird dabei von Schwester E nicht benannt. Das Fallbeispiel ereignete sich am 13.08.2019 in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie zwischen einer Heimschwester „E“ und einem 6-jährigen Jungen „K“. Der Junge K war schwer übergewichtig und sollte daher, laut ärztlicher Anweisung, zum Abendessen nur zwei normale Essensportionen erhalten. Weiterhin arbeitet die Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem Ringe- und Punktesystem. Die Kinder und Jugendlichen müssen sich für bestimmte „Vergehen“ Ringe von ihrer Tafel abnehmen. Wenn alle Ringe ab sein sollten, erhalten die Kinder und Jugendlichen einen schwarzen Punkt. Dieser schwarze Punkt bedeutet, dass ein sofortiger Verweis ins Zimmer erfolgt und dieses erst am Abend des nächsten Tages wieder verlassen werden darf – sprich: die Kinder und Jugendlichen erhalten ihr Essen und Beschäftigungsmaterial in ihre Zimmer und jeglicher sozialer Kontakt und jegliche Aktivitäten für den bereits begonnen Tag und den nächsten Tag werden gestrichen.