Interpretation zu Angeber!,

Analyse des Falls „Angeber!“


Autor*in
Annika Kiehne |
Auswertungsmethode/n


Fallanalyse:

Ich habe mein Orientierungspraktikum an einer Grundschule absolviert. Mein selbst ausgewähltes Interaktionsprotokoll bezieht sich auf ein Gespräch zwischen der Lehrerin und einigen Schülern einer zweiten Klasse dieser Grundschule. Die Schüler gerieten während der Essenspause in einen kleinen Konflikt untereinander. Als die Lehrerin dazu kommt, wird versucht das Problem zu lösen. Ich beschränke mich in meiner Interpretation, wie auch schon in der vorherigen, zunächst auf den ersten Interakt:

Schüler 1 (Moritz): „Tom hat angegeben!“

Ohne auf den Kontext zu achten, ist der Inhalt der Aussage deutlich und knapp formuliert.

Diese kann als Anschuldigung formuliert sein oder als reine Feststellung. Als reine Feststellung kann diese Aussage gelten, wenn zum Beispiel eine Spiel- und Fragerunde stattfindet. Eine Frage im Spiel lautet dann: „Wer schon einmal angegeben?“. Durch das Heben der Hand symbolisiert man, dass man dies schon einmal getan hat. Tom könnte sich daraufhin gemeldet haben. Wenn die anderen Mitspieler Tom beim Aufzeigen nicht wahrgenommen haben, könnte ein weiterer Spieler diese Meldung vom Spieler Tom noch einmal bestätigen und sagen „Tom hat (schon mal) angegeben!“, als Wiederholung für alle anderen, um Unklarheiten im Spielverlauf zu vermeiden.

Wenn man den Satz als eine Art unvollständigen deutet, dann kann „angeben“ auch als etwas angeben anstatt mit etwas angeben verstanden werden. Wie zum Beispiel eine Adresse oder Telefonnummer angeben um sie als Kontakt zu hinterlassen. Dann würde wieder eine andere Person, als der, der die Tat vollzogen hat, die Ereignisse zusammenfassen oder an jemanden weiterleiten, denn dies etwas angeht oder für den diese Information wichtig ist. Hier könnte der Satz dann erweitert werden mit: „Tom hat (die Daten) angegeben“ und weiter „Jetzt bist du an der Reihe!“. Also verlangt diese Aussage auch in gewissem Maße eine kleine Erklärung.

Meist ist das Verb angeben jedoch negativ behaftet, weswegen die Aussage als Anschuldigung eher zutreffend ist. Da eine solche Formulierung für Erwachsene meist untypisch ist, lässt sie sich auf eine kindliche Behauptung zurückführen. Es stellt sich immer die Frage, mit was Tom angegeben hat. Dadurch kann man auch auf die Situation zurückführen. Wenn er beispielsweise mit einem neuen Fußball geprahlt hat, ist es wahrscheinlich, dass sich das Szenario auf einem Fußballfeld oder Sportplatz abgespielt hat. Die anderen Kinder sind neidisch oder verärgert und gehen zu einem Trainer oder den Eltern, um auf diese, von ihnen als solche empfundene, Frechheit aufmerksam zu machen.

Betrachtet man den Interakt im schulischen Kontext, so formuliert der Schüler 1 eine Behauptung, die er einem Schüler/einer Schülerin oder einem Lehrer/einer Lehrerin mitteilen will. Er erwartet daraufhin eine Reaktion des Gegenübers und scheint sich darüber bewusst zu sein, dass allein diese Aussage eine Konsequenz mit sich ziehen wird.

Die kann nun zum einen sein, dass die Lehrerin/der Lehrer auf die Aussage des Schülers 1 eingeht. Sie kann verschiedene Fragen stellen oder sich bei Tom erkundigen, ob dies der Wahrheit entspricht. Ebenfalls kann sie die Aussage des Schülers ignorieren und sich dem nicht weiter zuwenden. Andererseits kann sich auch ein weiterer Schüler zu Wort melden und die Aussage des Schülers 1 befürworten oder bestreiten. Auch Tom selber kann darauf reagieren und sich verteidigen, also die Aussage negieren oder die Anschuldigung direkt akzeptieren, beziehungsweise sich erklären. In jedem dieser Fälle wird ein Konflikt zwischen Tom und dem Schüler 1, nennen wir ihn jetzt Moritz, deutlich, der sich durch diese Aussage beleidigt oder auch unwohl fühlen kann.

Tom: „Hab ich gar nicht!“

Es ist nun der Fall eingetreten, dass Tom versucht sich zu verteidigen. Er weist die Anschuldigung zurück. Dies ist ein typisches Verhaltensmuster bei Kindern, zunächst die Schuld abzuweisen. Bis jetzt ist die Lehrerin noch nicht in das Streitgespräch eingeschritten, da es ohne Kontext auch nicht ersichtlich war, ob Moritz sich an die Lehrerin/den Lehrer gewendet hat. Nach dieser Aussage Toms kann jetzt der Fall eintreten, dass die Lehrerin/den Lehrer einschreitet. Es kann aber auch sein, dass Moritz seine Position noch einmal deutlich macht und Tom widerspricht. Möglich wäre auch immer noch, dass ein weiterer Schüler Tom oder Moritz unterstützt. Tom kann seiner Aussage aber auch noch etwas anfügen, wie zum Beispiel eine Erklärung der Situation. Er kann sich auch ganz der Situation abwenden und versuchen wegzugehen.

Moritz: (zeigt stumm auf Tom)

Der Fall, dass Moritz auf die Aussage von Tom reagiert, trifft ein. Anstatt noch einmal verbal auf Toms Aussage zu reagieren, entscheidet er sich dafür, seine Position durch eine Geste deutlich zu machen. Somit fächert er sichtbar einen Streit mit Tom an. Es wird nicht deutlich, wie Moritz auf Tom zeigt, ob z.B ängstlich oder selbstbewusst. Da ich dieses Gespräch mitverfolgt habe, weiß ich, dass der Schüler ein stummes und selbstbewusstes „Doch, hat er“ damit gestikulieren wollte. Nun ist es auch möglich, dass sich ein anderer Schüler dazu begibt und einen der beiden unterstützt. Logischer ist es, dass Tom noch einmal antwortet oder die Lehrerin/der Lehrer das Wort ergreift.

Genau dieser zuletzt genannte Fall trifft ein:

Lehrerin: „Das hat Tom bestimmt nicht so gemeint, er hat sich sicher nur gefreut.“

Die Lehrerin versucht Moritz zu beschwichtigen. Das kann zum einen daran liegen, dass solch eine Situation in der Klasse öfter aufritt und sie deswegen weiß, wie sie diesen Fall zu deuten hat. Zum anderen ist es auch denkbar, dass die Lehrerin hierbei versucht das Streitgespräch schnellstmöglich aufzulösen, um mit ihrer eigenen Pause fortzufahren. Sie gibt in beiden Fällen ihre Meinung zu dem Gespräch ab, ohne genau zu wissen, was vorgefallen ist. Anstatt zu fragen, wieso Tom angegeben haben soll, spricht sie sofort ihren ersten und gleichzeitig auf eine Lösung hinauslaufenden Gedanken aus. Daraufhin kann entweder Tom oder Moritz das Wort ergreifen und seine Meinung vertreten. Bis jetzt ist nicht ersichtlich, ob auch andere Schüler an dem Streitgespräch teilnehmen, bzw. etwas von dem Streit mitbekommen haben. Wenn dies der Fall ist wäre eine weitere Möglichkeit, dass einer der um sie herumstehenden Mitschüler, die auch zuvor Toms Verhalten mitbekommen haben, Partei ergreifen. Wie vermutet reagiert nun einer der zwei in Konflikt geratenen Schüler auf die Aussage der Lehrerin.

Moritz: „Aber Tom hat angegeben, er hat gesagt, er ist der Beste.“

Somit vertritt Moritz seine Meinung erneut. Er will damit erreichen, dass die Lehrerin ihm glaubt und eine Konsequenz ausspricht. Nun könnte Tom diese Behauptung wieder abstreiten oder die Situation aus seiner Sicht erklären. Es ist auch möglich, dass die Lehrerin diese Aussage kommentiert. Entweder spricht sie sich dann erneut für Tom aus oder glaubt Moritz sofort und wendet sich gegen Tom. Sie kann auch den diplomatischen Weg gehen und Tom selber fragen oder die anderen Schüler und Schülerinnen, die das Gespräch mitgehört haben. Die Lehrerin kommt erneut zu Wort und wählt diesen Weg zur Lösung des Konflikts:

Lehrerin: „Das ist nicht in Ordnung, stimmt’s Tom, aber ich bin mir sicher er hat sich nur gefreut.“

Anstatt nur eine Position einzunehmen, gibt sie beiden Recht. Sie sagt zum einen, dass dies nicht in Ordnung sei und spricht dann direkt Tom an, um von ihm ein „ja“ bezüglich dieser Aussage zu bekommen. Dann erst bringt sie ihre Meinung an und wiederholt somit den Kern ihrer vorherigen Aussage, dass Tom es nicht so gemeint hat. Sie appelliert an Toms Gewissen, um Einsicht auf seiner Seite zu erlangen, ihn aber nicht zu verärgern oder direkt anzuschuldigen, wie sein Mitschüler Moritz. Daraufhin kann jetzt ein weiterer Satz der Lehrerin folgen, dass Tom sich entschuldigen soll. Es ist auch möglich, dass Moritz erneut seine Meinung vertritt. Unerwartet kommen jetzt aber die Mitschüler zu Wort, die sich während des kleinen Streites um die beiden Schüler Tom und Moritz versammelt haben.

Mehrere Schüler: „Nein!“

Sie reagieren auf die Aussage der Lehrerin und unterstützen Moritz. Es wirkte im vorherigen nicht so, als hätte die Lehrerin eine Meinung der Schüler verlangt. Diese schalten sich selbst dazu. Nun scheint die Lehrerin gezwungen, darauf zu reagieren. Es ist unwahrscheinlich, dass Tom jetzt auf die Aussage seiner Mitschüler eingeht. Möglich ist es, dass sich Tom jetzt im Unrecht fühlt und Moritz sich in seiner Aussage bestätigt. Somit kann auch der Fall eintreten, dass Moritz sich auf seine Aussage beruft, da er jetzt nötige die Unterstützung erhält. Tatsächlich passiert folgendes:

Lehrerin: „Na gut, dann entschuldige dich.“

Die Lehrerin gibt ihre Meinung auf und fordert Tom dazu auf, sich bei Moritz und seinen Mitschülern zu entschuldigen. Es ist die Aufgabe eines Lehrers/einer Lehrerin Konflikte zwischen Schülern möglichst ruhig zu lösen, ohne sich selber in die Diskussion einzubringen. Bei vielen Lehrern/Lehrerinnen findet auch die Strategie, die Kinder ihre Probleme untereinander selbst lösen zu lassen, Anwendung. In diesem Fall scheint jedoch die Lehrerin ein kompetenter Berater für die Kinder zu sein, da sie diese hinzuziehen. Sie wendet sich auch dem Problem zu. In diesem Gespräch stellt sie sich und ihr Meinung zurück, um eine schnelle Lösung des Problems zu erlangen oder weil sie den Schülern glaubt, dass Tom im Unrecht ist. Daraufhin kann Tom der Bitte der Lehrerin nachkommen oder aber sich weigern.

Tom: (gibt den beteiligten Schülern/-innen die Hand): „Entschuldigung“

Tom wählt den konfliktlösenden Weg und entschuldigt sich. Dies macht er entweder, weil er es ernst meint und sich seine Schuld eingesteht oder um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Er hätte auch weiter diskutieren können, um sich als im Recht darzustellen. Jedoch ist der Respekt vor der Lehrerin gerade im Grundschulalter größer, als zum Beispiel in der weiterführenden Schule. Durch die Entschuldigung von Toms Seite ist für alle das Problem behoben und niemand meldet sich mehr zu Wort.